- HINTERGRUND -
Seit 2015 verfasst die Handelsexpertin und Trendforscherin Theresa Schleicher den Retail Report, der Veränderungen und Entwicklungen im Handel identifiziert und beschreibt. Die aktuelle 136 Seiten starke Ausgabe Retail Report 2023 (erschienen im Zukunftsinstitut) bietet unter anderem einen Überblick rund um die Digitalisierung des Handels – und leitet daraus bedeutsame Prognosen ab. Lesenswert für alle aus der Handelsbranche, denn der Report bietet wichtige Impulse, auf veränderte Kundenwünsche einzugehen und daraus strategisches Handeln für das eigene Unternehmen abzuleiten. Eine Zusammenfassung lesen Sie hier...
Europa ist in eine Ära der Übergänge eingetreten. Zu recht wird von einer Zeitenwende gesprochen. Die Welt ist nicht mehr das, was wir glaubten, dass sie sei. Wir erleben eine Zäsur – und eine Krise nach der anderen. Wir leben nicht mehr in einem bequemen Zustand der Normalität, der mal für kurze Zeit von einem krisenhaften Ereignis unterbrochen wird, sondern die Krisen sind die neue Normalität.
Wer der Tatsache ins Auge blickt, dass die Gesellschaft in eine Phase der Krisenpermanenz eintritt, wird erkennen, dass ein „Weiter so“ eventuell noch ein paar Jahre, aber vielleicht auch nur ein paar Monate möglich ist. Zugleich wächst der politische und gesellschaftliche Druck auf die Retail-Branche, sich stärker in Richtung Nachhaltigkeit und geteilter Werte aufzustellen.
Auch totgesagte Technologien erleben ein Revival. Plötzlich muss der Handel digital werden, und dieser Zwang verhilft so einigen Technologien, die schon längere Zeit durch die Handelslandschaft geistern, zum Durchbruch. Zukunftsorientierte Unternehmen nutzen die Situation, um nicht nur an ein paar Stellschrauben zu drehen, sondern echte Innovationen zu setzen. Jetzt ist die Zeitenwende für einen Retail der Zukunft!
Im Themenschwerpunkt Blockchain Shopping geht es um neue Shopping-Communitys der Transparenz. Die Blockchain gilt als eine der entscheidenden Technologien hin zur Industrie 4.0 und einer vernetzten, transparenten und intelligenten Handelswelt. Während sie für viele Unternehmen in der Retailbranche noch lange nicht erschlossen ist, kristallisiert sich in der
Gesellschaft bereits eine nutzerorientierte Haltung zur Blockchain heraus: Ein Umgang, der sich nicht um Technologie dreht, sondern um Exklusivität, Transparenz, Gemeinschaft – und vor allem um Bequemlichkeit. In den nächsten Jahrzehnten werden viele neue Anwendungsfelder von Blockchainbasierten Technologien und Dienstleistungen die Handelswelt weiter verändern und vor allem den Shift weg vom reinen Verkäufer, hin zur Service-Plattform mit dezentralen Strukturen und Community-Prinzipien befeuern.
Im Themenschwerpunkt Innenstadt 2040 werden drei Visionen für den Einzelhandel im urbanen Raum beschrieben. Die Handelslandschaft war selten so im Umbruch wie heute. Retailer, Marken und Hersteller sind händeringend auf der Suche nach Konzepten und Impulsen gegen das langsame Aussterben der Innenstadt, nach neuen Antworten auf die vermeintlich veränderten Bedürfnisse der durch Krisen verunsicherten Menschen und auf die steigende
Konkurrenz durch den E-Commerce. Die drei in diesem Kapitel entwickelten Visionen für den Retail eröffnen neue Möglichkeitsräume fernab der bekannten – meist linear fortgeschriebenen – Zukunftsvorstellungen.
In der Innenstadt 2040 wird Technologie intelligent und gleichzeitig Beiwerk: Auch wenn viele technologische Innovationen möglich sind, merken wir doch in der Entwicklung, dass die ökologische Bedrohung andere Schwerpunkte legt. Technologie wird damit immer mehr dazu genutzt, die nachhaltige Gestaltung der Welt und den bewussten Konsum zu unterstützen. Außerdem liegt die größte Kreativität in der Struktur: während in den Bezirken Gemeinschaft
eine immer größere Rolle spielt, leben sich zentrale Innenstadt-Plätze als kreative real-digitale Plattformen neu aus und schaffen damit echte Erlebnisse, die zu lange an den touristischen Plätzen gefehlt haben. Wer künftig öffentliche Orte bespielen will, muss etwas bieten.
Der Branchen-Insight des Reports beschäftigt sich mit Mode: „Fast Fashion is slowing down, Slow Fashion is speeding up“. Die Modeindustrie wurde bereits durch die Pandemie ausgebremst und durch die Folgen des Ukraine-Kriegs weiter in Mitleidenschaft gezogen: Fragile Lieferketten, erhöhte Transport- und Energiekosten sowie steigende Preise setzen der globalisierten Modebranche zu. Diejenigen, die am schnellsten unterwegs waren, erwischt es am härtesten. Fast Fashion nach dem Prinzip „immer schneller, immer günstiger, immer mehr“ – seit Jahren auf der Überholspur – erlebt nun einen Crash. Dabei wäre das System Fashion auch ohne diese folgenreichen Ereignisse an seine Grenzen gestoßen. Was sich noch hätte evolutionär entwickeln können, wird jetzt revolutioniert.
Die aktuelle Krise ist auch eine Chance, sich stärker in Richtung Circular Fashion zu entwickeln. Vor allem das neue Wert-Paradigma in der Gesellschaft, Qualität ganzheitlicher zu verstehen und achtsamer zu konsumieren, sorgt für einen Schub in Richtung fairere, ökologischere und sozialere Mode. Fast Fashion und Nachhaltigkeit schließen sich nicht aus. Erste Ansätze, Fast
Fashion länger im Kreislauf zu halten oder sie in diesen zurückzuführen, gibt es bereits. Eine wichtige Entwicklung ist es, das Recycling bzw. die Weiternutzung bereits beim Design- und Herstellungsprozess – Recycling by Design genannt – zu berücksichtigen. Doch auch Slow Fashion wandelt sich, vor allem durch die Dominanz neuer Technologien. So kann auch Slow Fashion von Prozessen profitieren, die sich gerade im Online-Fashion-Markt manifestieren, wie
schnelle Delivery- oder Pre-Order-Services. Slow Fashion wird damit convenient, besser und schneller verfügbar. Den nachhaltig orientierten Modebegeisterten wird es leichter gemacht, auch nach ihren Werten und Haltungen zu konsumieren.
Was der Retail Report, bei dem Janine Seitz als Co-Autorin mitgewirkt, sonst noch bietet: Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die den Handel maßgeblich beeinflussen, werden mithilfe der Retail-Trend-Map visualisiert. Den Entwicklungen im Retail sind jeweils Best Practices einzelner Unternehmen beigefügt, damit lassen sich einzelnen Themen konkret nachvollziehen. Dazu kommen noch aktuelle Zahlen aus dem Retail, die dazu dienen, die Trends zu validieren. Die wichtigsten Trendprognosen runden den Report ab, sie folgen hier:
Retailverse: Neue Touchpoints in virtuellen Lebenswelten
Das Metaverse ermöglicht es Marken und Handelsunternehmen, die Konsumierenden dort zu treffen, wo sie zum jeweiligen Zeitpunkt sind, und Teil ihrer Lebensrealität zu werden. In Zukunft liegt der Fokus auf real-digitalen Erfahrungen und Erlebnissen, die echte Nähe schaffen.
Rural Retail: Die Eroberung des ländlichen Raums
Der Fokus des Handels liegt seit Jahrzehnten auf den urbanen Zentren – online wie offline. Doch ein Blick über den Rand der Metropolen lohnt sich. Ausgerechnet auf dem Seite Land lassen sich neue Potenziale und Märkte erschließen.
Zero Waste Packaging: Die neue Wertschätzung für Verpackung
Verpackungen können die Seele eines Produkts ausdrücken – sind jedoch gleichzeitig ein riesiges Müllproblem. Alternative Lösungen, die Packaging von Grund auf neu denken, stehen glücklicherweise bereits in den Startlöchern.
C2M – Customer to Manufacturer: Neue Plattformen verbinden Hersteller und Kunden. Produziert wird erst, wenn nachgefragt wird. Das neue Business-Modell C2M hat die Kraft, die Vertriebslogik auf den Kopf zu stellen und dem Online-Handel einen neuen Spin zu geben. Community-orientierte Plattformen machen’s möglich. Das Fazit von tischgespraech.de: Lesenswert und sehr inspirierend.