- HINTERGRUND -
Vier Themen, verpackt in zwei kurzweilige Stunden. Das war der Online-Event „Retail Future“, den die Messe Frankfurt am 7. Juli ab 16 Uhr durchführte. Das Dabeisein hat sich gelohnt – Stefan Genth, Stefan Wenzel, Stefan Nilsson und Judith Büchl (in dieser Reihenfolge) sprachen über verschiedene Themen, erklärten Begriffe wie auch Konzepte und zeigten neue Tools und Wege auf. Über 300 Interessierte aus 40 Ländern nutzten die Gelegenheit. tischgespraech.de war dabei...
Key Note - Handel 2022: Transformation und Neupositionierung
Handel 2022: Transformation und Neupositionierung war das Thema von Stefan Genth, dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Er präsentierte viele Charts mit Zahlen zum Status Quo, Trends und Entwicklungen im Handel. Sein Fazit: Das Konsumentenverhalten ändert sich aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Inflation, insbesondere die Aspekte Nachhaltigkeit und Mehrwert geraten unter Druck. Er sagte aber auch deutlich, dass die echten Preissteigerungen niedriger seien, als die gefühlten. Dazu passt, dass das Konsumbarometer aufgrund des Ukraine-Krieges sogar schlechter als während der Pandemie sei. Das stelle den stationären wie auch den Online-Handel vor große Herausforderungen, gerade der Non-Food-Bereich sei davon stärker betroffen.
Ein Trend im Verbraucherhalten manifestiere sich zudem: Die Menschen gehen weniger oder gar nicht mehr in die Innenstädte, die Anzahl der stationären Geschäfte habe sich deutlich verringert. Eine Entwicklung, die mit Corona begonnen hat und die man umkehren müsse. „Wir brauchen neue Strategien für die Entwicklung der Innenstädte,“ forderte Genth. Dafür habe der Bund Fördermittel in Höhe von 250 Mio. Euro bereit gestellt. Auch ein Leerstandmanagement gelte es aufzubauen.
Was sich noch durch die Pandemie verändert hat: Der Online-Handel ist nicht nur während des Lockdowns stark gewachsen, er hat sich auch etabliert. Die digitale Welt gehört mittlerweile fest zum Handel, Marktplätzen komme als Multiplikatoren eine große Bedeutung zu.
Was erwartet uns in 2022? „Anfang diesen Jahres waren die Voraussetzungen für den Handel gut, aber der Krieg hat die positive Entwicklung zunichte gemacht,“ so der Hauptgeschäftsführer. Allerdings sieht er insbesondere für Händler, die digital gut aufgestellt sind, gute Chancen, die negativen Entwicklungen abzufedern. Denn der Bedarf am Online-Einkaufen sei zwar zurückgegangen, aber immer noch hoch. „An Online geht nichts mehr vorbei,“ so Genth. Und weist in dem Zusammenhang auf das Kompetenzzentrum Handel hin, das Händler Unterstützung anbietet, ihre digitale Kompetenz auf- bzw. auszubauen. Der Hauptverband des Handels setzt sich aber auch anderweitig ein und fordert bei der Politik umfangreiche Maßnahmen für den Handel aufgrund der hohen Energiepreise. Sein Fazit: „Die Kaufkraft in Deutschland ist nach wie vor hoch, wenn der Handel noch kundenzentrierter agiert, dann bleibt er eine Zukunftsbranche.“
„Hype oder Zukunft? Metaverse & Web3 für Handel & Marken“
Metaverse und Web 3.0. waren die Themen von Stefan Wenzel, der seit 23 Jahren in unterschiedlichen Positionen im Handel tätig ist. Fangen wir mit Web 3 an – der neuen Dimension, die dafür steht, dass man auf dieser dritten Plattform – daher auch die Bezeichnung Web 3 – nicht nur lesen und schreiben, sondern auch besitzen kann. Von da aus kommen wir ganz schnell zum Begriff Blockchain, der die Basis des Web 3 ist. Blockchain bietet die technische Möglichkeit Dokumente oder Transaktionen unveränderbar, aber dezentral abzuspeichern. Ohne eine dritte Autorität, bei voller Transparenz kann Eigentum somit dokumentiert werden.
Wenzel erklärt dazu auch den Unterschied von Coins, die für Eigentum stehen, und Tokens, die für Besitz stehen. Letztere sind Bestandteil des Begriffs NFT, also Non-Fungible Tokens. Das bedeutet auf Deutsch in etwa so viel wie nicht ersetzbarer Kryptowert. Mit NFTs erwirbt man ein digitales Asset, zum Beispiel auf einem Online-Marktplatz, das man mit einer Kryptowährung bezahlt. Zu abstrakt? Wenzel erklärt das so: In einem Online-Spiel kann man zum Beispiel Land oder Geräte kaufen, oder aber auch ein digitales Kunstwerk. Auch im Bereich Musik etablieren sich NFT neuerdings. Man kauft ein Musik-Stück digital, auf der Blockchain ist dann dokumentiert, dass man Eigentümer dieses Songs, dieser Komposition ist. Auch Startups nutzen diese NFTs, so kann man darüber Mitglied einer Community werden und nur deren Mitglieder dürfen dann auch das fertige Produkt kaufen. Das hat den Vorteil, dass auch nur tatsächlich das produziert wird, was verkauft wurde. Zugegeben, das erfordert Geduld, ist aber exklusiv und vor allem nachhaltig.
Der zweite Begriff den Stefan Wenzel erklärte ist Metaverse, ein Begriff, der zum Web 3 gehört (hier eine Erklärung im tischgespraech.de Glossar). Neu ist dieser Begriff nicht, er meint ganz einfach, dass man in einer digitalen Welt mit jemandem anderen in Interaktion tritt. In der Gaming-Welt wird das schon seit langem praktiziert: User suchen sich einen Avatar, gehen damit in Interaktion mit den Avataren anderer Spieler, kaufen virtuelle Produkte, um ihre Avatare auszustatten. Und dieses Metaverse dringt immer weiter vor, so hat der Künstler Travis Scott vor kurzem ein Konzert als Avatar gegeben und damit ein Millionenpublikum erreicht (und auch Einnahmen in Millionenhöhe erzielt). Übrigens, ein digitales Meeting lässt sich so auch gestalten und wird dann als viel „lebensnäher“ empfunden. Was heißt das für den Handel? Wenzel beruhigt: Es gelte, diese Entwicklungen im Auge zu behalten, zu verstehen (durch seinen Beitrag hat er dazu beigetragen, Anmerkung der Redaktion), zu bewerten und zu priorisieren.
„Besser und nachhaltiger kaufen – Megatrend Nachhaltigkeit und seine Auswirkungen auf den Einzelhandel“
Besser und nachhaltiger kaufen – darüber sprach der schwedische Journalist und Trendexperte Stefan Nilsson. Der Megatrend Nachhaltigkeit wirkt sich stark auch auf den Handel aus. So stellt Mc Kinsey in einer Studie fest, dass sich das Einkaufsverhalten verändert, es wird weniger gekauft. Der sogenannte Überkonsum nimmt ab. Um so jünger die Konsumierenden sind, desto weniger wollen sie kaufen. Dafür steht der Begriff Degrowth, also Wachstumsrückgang. Nilsson stellt die provokante These auf, ob man sich zukünftig wohl schämen müsse, wenn man konsumiert. Was bedeutet das für den Handel? Laut Nilsson darf es im Handel nicht mehr allein um Produkte gehen, das Element Service müsse dazukommen. So zum Beispiel Angebote für Reparaturen, oder ein Mietservice. Warum nicht den Sonnenschirm für drei Monate mieten? Auch Vintage-Mode kann sich fest im Handel etablieren – schön, und ansprechend präsentiert. Und weil Nilsson in Englisch vortrug, übernehme ich seine Begriffe „repair and restore“. Die britische Marke Toast bietet an, dass man seine Textilien von Designern reparieren lässt . Das ist ganz nebenbei noch ein Upgrading.
Aber auch Erlebnisse gehören laut Nilsson zum Handel der Zukunft – wir wollen keine Dinge kaufen, sondern Erfahrungen sammeln. In dem Zusammenhang werde Regionales immer wichtiger. „Resale, Restore, Remake, Repair oder auch Rent, das ist heute gefragt. Seien Sie kreativ und ergänzen Sie Ihr Sortiment, indem Sie Artikel oder Services zur Reparatur anbieten“, so Nilssons Aufruf für ein zukunftweisendes Konzept im stationären Einzelhandel.
Omnichannel ist "the new normal": Insights aus der Google Omnichannel Excellence Study 2022
Judith Büchl, Google Germany GmbH, stellte die aktuelle Google Studie Omnichannel Excellence 2022 vor, die wesentliche Erkenntnisse liefert, wie wichtig die Verknüpfung von Onsite und Online ist. Studienpartner sind der HDE und Pattern. Zum ersten Mal beleuchtet die Studie die sogenannte „Erwartungslücke“, wobei sowohl der Handel als auch Konsumierende befragt wurden. Zu den aufschlussreichen Ergebnissen zählen, dass der Vertrauensgrad zum Händler besonders wichtig ist, aber auch der Aspekt Nachhaltigkeit immer stärker nachgefragt wird. „Wir haben beide Gruppen gefragt, wie flexibel, einheitlich, informativ, bequem und personalisiert der Einkauf aus Kundenperspektive sein sollte und wie die Realität dazu im Handel aussieht. Wichtige, aber durchaus einfache Mechanismen sind zum Beispiel Click&Collect, ein guter Informationsservice und die Erkenntnis, dass oftmals die Einkaufsreise digital startet. An dieser Stelle muss der stationäre Handel also einen Mehrwert bieten, damit die Reise idealerweise im Ladengeschäft endet“, so Büchl.
Die Fachvorträge wurden in deutscher und in englischer Sprache ausgestrahlt und aufgezeichnet. Sie sind unter: conzoom-solutions.messefrankfurt.com/future-retail jederzeit kostenfrei abrufbar.