- HINTERGRUND -
Wie kommt eine kleine Porzellanmanufaktur in der Provinz Thüringens dazu, mit einer weltberühmten Designerin wie Paola Navone zu arbeiten? Und das nicht nur einmal, sondern über viele Jahre? Wer die Porzellanmanufaktur Reichenbach besucht – denn um diese geht es - und sich die Produktion anschaut, der versteht, warum.
Ende Oktober 2024 bin ich nach Reichenbach gefahren und habe Annett Geithe getroffen, die zusammen mit ihrem Mann Rigo seit 2007 Inhaberin des Unternehmen ist. Wir starten im Showroom, der die ganze Vielfalt des Sortiments zeigt. Hier steht auch die Form Barock, die ein Klassiker bei Reichenbach ist.
Zu DDR-Zeiten (und auch danach) war sie in Kobaltblau und mit üppigem Golddekor der Devisenbringer und ein gefragter Artikel im osteuropäischen Raum. Genau diese Form war es auch, die sich Paola Navone 2003 herausgriff und zeitgemäß interpretierte: Mit glänzendem handgemalten Platin, das aber die Tassen, Teller oder Kannen nur zur Hälfte bedeckt, die Produkte wirken dadurch wie eingetaucht. Der nicht glasierte Teil ist Bisquit-Porzellan und ein schöner Kontrast zum leuchtenden Platin.
Annett Geithe erinnert sich, dass sie anfangs gar nicht begeistert war, dass Navone ausgerechnet Barock auswählte, aber das Ergebnis hat sie überzeugt. Und das war der Auftakt zu einer bis heute dauernden Zusammenarbeit. Technisch war es zudem eine Herausforderung, die Glasur so aufzubringen, wie es Navone wollte. „Aber wir haben es hingekriegt,“ sagt Geithe. Wie so vieles andere später auch noch, und genau das macht die Porzellanmanufaktur aus.
Wie aber kam Navone nach Reichenbach? Dazu muss man ein wenig ausholen: 1900 haben sich neun Porzellanmaler zusammengetan und mit der Gründung eines eigenen Unternehmens den Grundstein für die heutige Porzellanmanufaktur Reichenbach gelegt.
Reichenbach ist ein kleiner Ort in Thüringen, der an der A9 liegt. Porzellan hat hier eine lange Tradition – bereits seit 1830 wird der Name mit der Thüringer Porzellanmalerei in Verbindung gebracht. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmen enteignet und als Kombinat weitergeführt. 1989 ging es dann an einen Investor, hatte innerhalb kurzer Zeit mehrere Eigentümer bis dann 2005 Rigo Geithe erst als Geschäftsführer und dann 2007 auch als Inhaber übernahm. Ihm und seiner Frau war klar, dass die Manufaktur am Markt nur eine Chance haben würde, wenn sie sich vom üblichen Angebot abheben würde.
Das hieß: Das bisherige Sortiment musste modernisiert werden, war es bislang überwiegend auf eine Klientel in Osteuropa ausgerichtet. Aber wer sollte Input geben? Der Kontakt zu Navone kam 2003 über Anthologie Quartett zustande, für die Reichenbach damals produzierte. Damals hieß der Eigentümer von Reichenbach noch Professor Scharff, die Geithes waren aber schon mit an Bord. „Die Zusammenarbeit mit Paola Navone, die übrigens bis heute besteht, war ein echter Glücksfall für uns,“ erinnert sich Annett Geithe.
Die Porzellanmanufaktur hat es damals geschafft, Navones Anforderungen umzusetzen, und sie hat sich auch in den weiteren Jahren auf immer neue technische Herausforderungen eingestellt. Wie sich bei einer Führung durch die Produktion zeigt, ist das Unternehmen so vielseitig aufgestellt, dass fast alles möglich ist. „Das ist heute tatsächlich unsere Stärke,“ so Geithe. „Wir sind eine Manufaktur und können aufgrund unseres Know-hows vieles realisieren, vor allem auch in kleinen Serien.“
Zum Beispiel Teller aus handgedrehtem Porzellan für die Top-Gastronomie – Spitzenköche wie Alexander Herrmann oder Lea Linster lassen sich in Reichenbach genau den Teller in der Größe fertigen, den sie sich vorstellen. Oder der Bergeteller, den Metz und Kindler entworfen haben und der die Zugspitze und andere Berge originalgetreu auf der Fahne eines Tellers abbildet. Oder die Porzellane von Stefanie Hering, die in Reichenbach ebenfalls gefertigt werden. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
So ist die Fertigung in Reichenbach auch eine sehr individuelle, sehr handwerklich ausgerichtete, mit engagierten Mitarbeitern, die sich mit viel Freude und Neugier in neue Aufgaben hineinarbeiten. Wie zum Beispiel der Mitarbeiter, der sich das Porzellandrehen selbst beibrachte, dabei von Stefanie Hering – die ja in Reichenbach fertigen lässt und das Porzellandrehen beherrscht – wertvolle Tipps erhielt. In Reichenbach wird aber nicht nur von Hand gedreht, hier wird Porzellan gegossen, von Hand glasiert, bemalt und anderes mehr. Nach dem Motto „Alte Handwerkskunst trifft modernes Design“, und zu 100 % Made in Germany. Auch das hebt das Unternehmen von anderen Porzellinern ab.
Paola Navone ist heute nicht mehr die einzige Designerin, die für Reichenbach tätig ist. Metz und Kindler haben wir schon genannt, aber auch Gerd Sommerlade, blohmgumm und Alim Pasht-Han entwerfen für das Unternehmen. Das Know-how der Thüringer schätzen auch viele andere Marken: Sie lassen in Reichenbach Produkte nach Wunsch fertigen – 50 % der Aufträge sind sogenannte Auftragsarbeiten. Die Unternehmen wissen, dass sie hier auch kleine Serien fertigen lassen können und ausgefallene Wünsche umsetzen können. Es gäbe noch viel zu erzählen, über die Porzellanmanufaktur Reichenbach…