- EXKLUSIV: KONZEPTE -
Bücher Wenner ist in Osnabrück eine Institution. Jonas Wenner führt das Haus mit zentraler Lage in der dritten Unternehmergeneration. Seit September nimmt die traditionsreiche Buchhandlung für sich in Anspruch, die erste klimaneutrale Buchhandlung in Deutschland zu sein. Wie es dazu kam und welche Reaktionen dies hervorruft, erläutert Jonas Wenner.
tischgespraech.de: Wie entstand die Idee zur Klimaneutralität?
Wenner: Eine meiner ersten Maßnahmen nach Eintritt in den Familienbetrieb war die Umrüstung auf LED-Beleuchtung - der wirtschaftliche Aspekt stand hier deutlich im Vordergrund. Vor ca. drei Jahren habe ich einen eigenen Fahrradkurierdienst für Buchzustellungen (zur Zeit sechs angestellte Kuriere in Osnabrück) eingeführt. Im Zuge der Optimierung der internen Druckprozesse (ca. Halbierung des Papierverbrauchs) habe ich unsere diversen Verbräuche bilanziert und dann kam eins zum anderen.
tischgespraech.de: Wie hoch ist der organisatorische Aufwand, ein klimaneutrales Geschäft zu realisieren?
Wenner: Der Aufwand für die Bilanzierung ist überschaubar, wenn man ein gewisses Verständnis für Zahlen hat. Je nach Vielfalt von Lieferanten und Produkten kann dieser Aufwand aber auch sehr groß sein. Als fast zu 100 Prozent auf gedruckte Bücher spezialisierte Buchhandlung sind Produkte und Lieferanten relativ homogen. Die Lieferanten waren in der Regel aber mit der Frage nach CO2-Fußabdruck überfordert und haben angegeben, das Thema gerade erst anzugehen. Man muss also recht viel auf staatliche Quellen und darin angegebene Durchschnittswerte zurückgreifen.
tischgespraech.de: Welche zusätzlichen Kosten fallen gegenüber dem vorherigen Betrieb an?
Wenner: Für 2019 rechne ich in Summe mit 10.000 EUR für Ausgleichszertifikate. 2020 werden es schon deutlich weniger, da wir von Graustrom auf Ökostrom wechseln. Da wir auch die Handelsware kompensieren, werden wir aber langfristig über 5.000 EUR pro Jahr an Ausgleich erwerben. Ökostrom ist erstaunlich günstig. Soweit möglich möchten wir noch im Bereich der Wärme und Kälte technisch etwas machen. Die Investitionen dafür werden sich vermutlich wesentlich langsamer amortisieren als im Fall der Beleuchtung.
tischgespraech.de: Sie rechnen auch Warenanlieferung und Ware in Ihre Klimabilanz ein. Der Energiebedarf von Servern für Streaming und Suchanfragen wird auch immer mehr diskutiert. Berücksichtigen Sie auch diesen Faktor?
Wenner: Unsere Server werden laut Betreiber des Rechenzentrums komplett mit regenerativer Energie betrieben. Die Anlieferung unserer Waren rechnen wir nach dem vom Bundesumweltministerium veröffentlichten Wert für Tonnen je km. Da in der Buchbranche die Ware von wenigen Großhändlern verteilt wird, kann man aus diesen Wert einfach den CO2-Ausstoß für Warentransport errechnen. Warentransporte von uns zum Kunden ermitteln wir anhand der Durchschnitte von Post / DHL je Packstück bzw. nutzen unserer Fahrradkuriere.
Die Holtzbrink-Gruppe (eine der ganz großen Verlagsgruppen in Deutschland) hat den Durchschnitt von 400 Gramm CO2-Ausstoss pro Buch ermittelt. Das setzen wir als Wert für alle Bücher. Die Anzahl an Büchern fragen wir in unserer Warenwirtschaft ab. Das Produkt Buch ist insgesamt der größte Posten in der Klimabilanz. Verlage, die angeben, selbst zu kompensieren,
rechnen wir aus der Bilanz wieder raus.
tischgespraech.de: Wie kompensieren Sie, mit welchen Projekten oder Organisation?
Wenner: Die Kompensation werden wir zu Beginn des neuen Jahres für das zurückliegende Jahr vornehmen, wenn wir alle Zahlen (insbesondere Verbrauchsabrechnungen der Energieversorger) zusammen haben. Wir werden eine oder mehrere der bekannten Anbieter von Ausgleichszertifikaten dafür nutzen. Stiftung Warentest hat diese vor einigen Monaten getestet. Wir werden aus jenen auswählen, die zumindest für "gut" befunden wurden. Dies kann z.B. atmosfair, klima-kollekte oder primaklima sein. Preislich liegen diese nicht sehr weit auseinander. Hinsichtlich der Frage, ob Aufforstung als Kompensation zählt oder nicht, gibt es unterschiedliche Meinungen. Daher werden wir ggf. unseren Beitrag aufteilen und nicht nur ein Projekt unterstützen oder jährlich wechseln.
tischgespraech.de: Mussten Sie Ihre MitabeiterInnen lange überzeugen?
Wenner: Jüngere Mitarbeiter weniger, ältere etwas mehr. Insgesamt war die Reaktion intern aber sehr positiv. Jede/r kann seine Arbeitswege und Verkehrsmittel in einem online-Tool erfassen. Die Angaben sind freiwillig und werden nur anonym als Summenwert der ganzen Firma veröffentlicht.
tischgespraech.de: Wie kommunizieren Sie den neuen Status und wie ist die Reaktion der KundInnen?
Wenner: Wir hatten einen Bericht in der Neuen Osnabrücker Zeitung und Radio-Interviews und nehmen das Thema Nachhaltigkeit allgemein in unser Image auf. Die Reaktion ist eher positiv. Buchhandelskunden sind ggf. etwas gebildeter/kritischer als der Durchschnitt. Es gab auch kritische Reaktion, die in Richtung allgemeine Kritik an der Thematik Klimawandel gehen. In dem Maß, in dem wir uns mit dem Thema exponieren, ziehen wir natürlich solche Kritik auf uns. Bis jetzt waren das aber Einzelfälle.
tischgespraech.de: Ihr Fazit: Überwiegt das Image die Kosten und Aufwendungen – oder spielt das letztendlich eine untergeordnete Rolle?
Wenner: Da wir dauerhaft kompensieren wollen, also langfristig eine Belastung von über 5.000 EUR im Jahr erwarten, übersteigen die Kosten sicherlich den kurzfristigen Werbeeffekt. Wenn man die Energieersparnis durch die Maßnahmen (besonders Beleuchtung) rechnet, ist die wirtschaftliche Bilanz positiv.
Langfristig muss man sich gerade als lokales Familienunternehmen auch zu dem Thema Nachhaltigkeit positionieren. Während für die Elterngeneration "lokal" und "inhabergeführt" noch Gründe für den Einkauf vor Ort sind, spielt bei jüngeren (gebildeten) Städtern das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft vermutlich eine größere Rolle.