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Keramische Produkte treffen als Slow-Living-Konzept den Nerv der Zeit: Man konzentriert sich auf das Wesentliche und feiert das Authentische. Deshalb kommt heute kaum noch ein gedeckter Tisch ohne Keramik aus – egal ob es sich um handgefertigte Stücke oder massenproduzierte Becher, Schalen und Teller handelt. Ein Beitrag von Claudia Simone Hoff.
Der Tisch wird traditionell mit Tableware aus feinem Porzellan und gern auch wieder mit Keramik gedeckt. Genauer gesagt mit Steinzeug, das im Unterschied zu Porzellan weniger Kaolin und mehr Feldspat enthält. Dadurch wirken die Stücke nicht nur gröber, sondern sind auch schwerer und weniger stoßfest. Doch gerade der rustikale Handmade-Charakter macht die Beliebtheit von Keramik aus. Vereinfacht gesagt, lassen sich zwei Richtungen feststellen, die sich vor allem in der handwerklichen Ausführung und im Verkaufspreis unterscheiden:
Da sind zum einen Solitäre sowie Kleinserien, die von Keramikern in eigenen Werkstätten handgefertigt werden. Und zum anderen keramische Produkte, die günstig in Portugal oder Fernost massenproduziert werden. Gestalterisch legen meist Handwerker und Designer vor, während große Hersteller nachziehen – ähnlich wie im Möbel- und Modedesign. Ursprünglichkeit des Handgemachten
Der Trend geht hin zu wenigen multifunktionalen Stücken, denn das Komplettservice hat ausgedient. Becher, Teller und Schalen in reduzierter Form mit meist farbigen Glasuren sind das (Design-)Mantra der Stunde. Das vermeintlich Einfache gibt es in vielen verschiedenen Qualitätsstufen, was auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennbar ist. Das bestätigt Wiebke Lehmann, die mit ihrem Unternehmen Tawl Sternerestaurants im Bereich Tableware berät, selbst Keramikmeisterin ist und das Porzellanlabel Hering Berlin mitaufgebaut hat.
„Es ist spannend, massengefertigte Produkte großer Labels mit Stücken in ähnlicher Form zu vergleichen, die handgefertigt sind“, sagt sie. „Man wird ganz anders berührt davon.“ Lehmann verweist damit auf ein Thema, das den Erfolg von Keramik-Tableware ausmacht: die Haptik, die sich vor allen in Oberflächenstrukturen widerspiegelt. In Zeiten von Smart Gadgets sehnen wir uns nach Ursprünglichkeit, der Natur und dem Handgemachten, dem eine Seele innewohnt. Das hat auch die Corona-Pandemie eindrucksvoll bestätigt und dafür gesorgt, dass wir Lebensmitteln, Kochen und Tableware wieder mehr Aufmerksamkeit widmen.
New Nordic Cuisine und die Folgen
Nachdem die Keramik in den Sechziger- und Siebzigerjahren überaus beliebt war, war sie seither zwar nie ganz verschwunden vom gedeckten Tisch. Doch erst vor einigen Jahren hat sie ihren erneuten Siegeszug angetreten – ausgelöst durch clevere Vermarktungsstrategien vor allem dänischer Brands. Dass Steinzeug dem Porzellan inzwischen den Rang abläuft, hat auch mit einer kulinarischen Bewegung zu tun, die großen Einfluss auf das zeitgenössische Tableware-Design hat: die New Nordic Cuisine.
Vor einigen Jahren begannen Sterne-Restaurants wie Noma in Kopenhagen und Frantzén in Stockholm ihre überraschenden, erdverbundenen Speisen auf Keramik zu servieren, die speziell für das Projekt entworfen und (hand-)gefertigt wird. Sie sind Vorreiter eines Trends, der inzwischen allgegenwärtig ist: die Idee von Hygge, die ursprünglich aus Dänemark kommt und bei der es um die Wertschätzung der Natur, des Einfachen und des Augenblicks geht. Hygge hat das Glück – wie die skandinavische Ästhetik überhaupt – länderübergreifend mehrheitsfähig zu sein, ohne anzuecken. Das erklärt auch ihr großes Vermarktungspotenzial und die Tatsache, dass sich die Idee von Hygge rasend schnell über verschiedene Kulturen und gesellschaftliche Schichten hinweg verbreitet hat.
Allerdings geht es dabei weniger um den philosophischen Hintergrund, sondern um knallharten Verkauf in Form von Produkten für den gesamten Wohnbereich – gefertigt aus natürlichen Materialien wie Holz, Messing und Keramik, in zurückhalten Farben wie Braun, Beige und Pastellen, zuweilen kombiniert mit Schwarz als Akzent. Dabei entsteht das Gros der keramischen Stücke unter Produktionsbedingungen, die der ursprünglichen Idee von Hygge zuwiderlaufen. Handwerk versus Masse Weil immer mehr Hersteller auf den Hygge-Zug aufspringen, ist der Scandi-Style inzwischen zum absoluten Mainstream geworden. Für den gedeckten Tisch heißt das: Nicht mehr nur klassische Tableware-Hersteller wie Villeroy & Boch produzieren Becher, Teller und Schalen, sondern auch Labels ohne eigene Produktionsstätten. Zwar sind die Qualitätsunterschiede zwischen den Produkten teils erheblich (werden aber zugleich auch von immer weniger Konsumenten als solche wahrgenommen), doch dafür gleicht sich die Designsprache an. In diesem Kontext ist es wenig überraschend, dass bei Rosenthal eine Steinzeug-Kollektion zu den erfolgreichsten Tableware-Serien überhaupt gehört. Denn Junto hat alles, was den Erfolg keramischer Entwürfe ausmacht: Die durch eine Reaktivglasur entstandene, unebene Oberfläche ist haptisch reizvoll und schafft einen Handmade-Touch, der nicht wie Porzellan perfekt und glatt, sondern unvollkommen ist.
Echtes Handwerk indes sieht anders aus und wird von Menschen wie Stefan Andersson direkt vor Ort geschaffen. „Handgemachte Keramik macht glücklich, weil sie ein ganz normales Essen auf eine völlig andere Ebene hebt“, sagt der schwedische Keramiker, der auch das Restaurant Frantzén mit seinen im Holzofen gebrannten Stücken ausstattet. Er profitiert von der Wiederentdeckung des Handwerks, einem großen Trend im Design der letzten Jahre.
Ebenso wie die französische Keramikerin Catherine Dix, die skulpturale Stücke fertigt, die von primitiver Keramik inspiriert sind. Alltagstauglichkeit, die Reduktion auf das Wesentliche und der Blick aufs Detail wie bei Stefan Andersson sind eine ästhetische Richtung der keramischen Tableware, die in der japanischen Teekultur verwurzelt ist. Seit einigen Jahren gesellt sich dazu eine weitere spannende Strömung, deren Vorreiter Designstudios wie Faina by Yakusha Design aus Kiew und Rooms Studio aus Tiflis sind. Ihre keramischen Stücke sind archaisch, erdverbunden und mit einem Schuss Folklore versehen. Den Keramik-Hype erklärt Stefan Andersson „als Gegenreaktion zu einer Zeit, als alles weiß und clean war“.